Montag, 30.10.2023

Fleischgewordene Nostalgie

Fleischkäse, Leberli und Rösti: Schweizer Küchenklassiker feiern ein Comeback. Warum die Gerichte den Gästen viel bedeuten und worauf man beim Zubereiten achten soll, weiss Sous-Chef Marcus Bendel vom Widder Hotel in Zürich.

 

Was ist die Idee hinter den nostalgischen Gerichten auf der Karte des Restaurants August im Widder Hotel?

Bei der Eröffnung zitierten wir den Slogan: Für Vegetarier gibts hier nix zu sehen. Im Ernst: Natürlich finden Vegetarierinnen und Vegetarier bei uns gute Optionen. Aber unsere Karte besteht hauptsächlich aus den Klassikern der hiesigen Küche mit vielen Fleischspezialitäten. Wir nehmen zudem fast vergessene Speisen auf die Karte. Es gibt Gerichte wie Zürcher Geschnetzeltes, Fleischkäse, Ghackets mit Hörnli, Hacktätschli, «Buurehamme», aber auch «altmodische» Spezialitäten wie Kalbsnieren oder Rindszunge.

 

Wie kommt das bei den Gästen an?

Viele kommen, weil die Gerichte auf der Karte ihre absoluten Lieblingsgerichte sind. Aufgrund unserer guten Lage in der Innenstadt besuchen uns überdies zahlreiche Touristinnen und Touristen, die die hiesigen Spezialitäten probieren wollen. Viele Gäste finden auch über die sozialen Medien zu uns, wo Gerichte wie das Zürcher Geschnetzeltes immer mal wieder Aufmerksamkeit generieren. Und obwohl die Rindszunge vielleicht etwas seltener bestellt wird, gehört sie eben trotzdem auf die Karte, weil wir uns als «Boucherie» anpreisen.

 

Habt ihr damit gerechnet, dass manche Gerichte in den sozialen Medien viral gehen?

Nein, darauf haben wir es nicht angelegt, aber es ist eine schöne Bestätigung für die Arbeit, wenn man online Likes und Kommentare erhält.

 

Was ist wichtig, damit diese Küche funktioniert?

Die Qualität der Zutaten und dass die Gerichte frisch zubereitet und serviert werden. Dann muss das Gericht immer gleich schmackhaft sein. Es soll nicht mal gut sein, mal schlecht, wie ich das oft selbst erlebe in einer Beiz. Das beginnt schon beim Metzger: Der muss das Fleisch immer gleich gut abhängen lassen – und ich muss mich darauf verlassen können. Genauso sollen die Gäste auf die Qualität vertrauen können. Zudem spielt hier der Nostalgiefaktor hinein: Die Gäste kommen hierher und erwarten einen bestimmten Geschmack und eine bestimmte Präsentation. Dem möchten wir entsprechen, Überraschungen wären hier am falschen Ort. Bei der Garnitur sind wir ebenfalls zurückhaltend, es gibt etwas Grün zur Hauptkomponente, es soll jedoch nicht zu verspielt sein oder das Gericht verfälschen. Speziell ist bei uns auch, dass man uns dank offener Küche bei der Arbeit beobachten kann.

 

«Überraschungen wären hier am falschen Ort.»

 

Ganz im Sinne des Zeitgeistes: Die Gäste möchten wissen, woher das Fleisch kommt und wie es zubereitet wird.

Genau. Es ist von der Herkunft über die Zubereitung bis hin zum Service alles nachvollziehbar und transparent. Das ist ganz anders als in meinen bisherigen Stationen, wo wir im Untergeschoss ohne Fenster und Kontakt zu den Gästen gekocht haben.

 

«Du erinnerst dich an damals und bist glücklich»

 

Was macht das mit den Gästen, wenn sie Klassiker wie Hacktätschli bestellen?

Es sind Rezepte aus der Kindheit, die uns alle geprägt haben. Wenn du das Gericht so isst, wie du es kennst, dann sind das Kindheitserinnerungen. Du erinnerst dich an damals und du bist glücklich.

 

Und wie stellt ihr sicher, dass ihr die Rezeptur richtig trefft?

Es ist mehr ein Ausprobieren und Nach-Erinnerung-kochen, als ein Rezept suchen. Wir möchten so kochen, wie es früher gemacht wurde. Da helfen nur der eigene Gaumen und die eigene Erinnerung.

 

Hast du einen Bezug zu diesen Speisen?

Absolut. Ich stamme aus Thüringen in Deutschland, da ist deftige Küche sehr verbreitet. Und ich bin auf dem Land aufgewachsen, mit Kühen, Pferden, Garten. Das Prinzip «Farm to Table» ist für mich selbstverständlich. Bei den «The Living Circle»-Hotels, zu dem das Hotel Widder und das August gehören, beziehen wir unsere Produkte von den eigenen Höfen: die Eier vom Schlattgut in Herrliberg ZH und das Rindfleisch vom Hof in Val Terbi JU. Nach meinem Job als Koch auf einem Kreuzfahrtschiff ist es etwas Besonderes, wieder mit regionalen Produkten arbeiten zu können.

 

 

MARCUS BENDEL

Alter: 40
Hobbies: Reisen mit meiner Freundin, Velofahren, mit Freunden Zeit verbringen
Liebster Nostalgiefood: Thüringer Klösse und Kaiserschmarrn
Schweizer Lieblingsessen: Maluns mit Apfelmus

 

 

Text: Simone Knittel
Foto: Nora dal Cero