Montag, 25.11.2024
Auf dich hat niemand gewartet
Roland Staub, braucht die Gastronomie einen eigenen Seelsorger?
Nein, eigentlich nicht. Früher brauchte es Gastroseelsorger, weil man in der Gastronomie sonntags arbeitete und so den Gottesdienst nicht besuchen konnte. Heute ist die Branche säkularer. In diesem Sinne «braucht» es mich nicht. Ein Wirt hat mir das auch gleich bei meinem ersten Gastrobesuch vor drei Jahren so zu verstehen gegeben.
Was hat er gesagt?
Auf dich hat niemand gewartet. Nach solchen Begegnungen braucht es sicherlich mehr Mut, die nächste Türe zu öffnen.
Was erwartete Sie hinter der nächsten Tür?
Ich ging etwas frustriert in ein Café und fragte die Besitzerin: «Ich habe diesen Job und weiss aber eigentlich gar nicht, was ich machen muss. Was würde Ihnen helfen?» Das hat das Eis gebrochen und sie erzählte mir von ihren Sorgen. Ich musste einfach nur da sein. Ich komme mit einem Angebot, auf das niemand gewartet hat, das aber irgendwie trotzdem helfen kann.
Und jetzt setzen Sie sich einfach in Lokale und warten?
Viel läuft übers Bauchgefühl. Ich spüre, wann der Zeitpunkt stimmt und wann die Wirtinnen und Wirte keine Zeit haben. Ich beobachte oft auch die Situation. Das ist schwierig für mich als Person. Einfach mal nichts machen, das auszuhalten und nicht gleich das Handy zücken. Ich sehe hin und höre zu. Ich versuche wahrzunehmen, was anderen nicht auffällt.
Was sind die Probleme der Branche?
Natürlich der Fachkräftemangel, die Teuerung, die Energiepreise. Aber meine Aufgabe besteht nicht nur darin, über Probleme zu sprechen.
Sondern?
Ich anerkenne Dinge, die ich beobachte und gut finde, teile das dem Personal und den Wirtsleuten mit. Als ich eine Szene mit einem Randständigen beobachtete, der in einem Lokal sehr laut wurde, machte ich danach dem Wirt ein Kompliment dafür, wie er mit der Situation umging. Das tat gut.
Kommen Menschen aus der Gastronomie auch auf Sie zu oder läuft Ihre Arbeit vor allem über die Besuche?
Die Gastroseelsorge gibt es seit knapp 100 Jahren in Basel. Meine Arbeit fristete ein stilles Schattendasein. Das hat sich nun ein wenig geändert. Ich habe einmal einen Anruf erhalten, bei dem jemand um Hilfe gebeten hat, weil die Führungsperson des Lokals Suizid beging. Da verbrachte ich einen Tag im Betrieb und bot Unterstützung im Trauerprozess.
Wie muss ich mir diese Unterstützung oder die Gespräche vorstellen? Helfen Sie mit passenden Zitaten aus der Bibel?
Nein, ich sitze nicht dort und halte die Bibel bereit. Unterstützung heisst vielleicht viel mehr: Zeit haben, Wert geben und den Raum öffnen für das Unfassbare. Ich sehe mich mehr als Vermittler von christlichen Werten wie zum Beispiel Wertschätzung, Dankbarkeit oder Hoffnung auf mehr als das, was man grad sieht.
In Basel gibt es Hunderte Restaurants und Cafés. Wie werden Sie da allen zeitlich gerecht?
Natürlich nicht wirklich. Aber ich führe ja nicht in jedem Lokal stundenlange Gespräche. Oft sind es auch nur Zehn- Minuten-Begegnungen. Ich mache mir Anfang der Woche einen Plan und nehme mir einzelne Strassen vor. Zudem habe ich eine Liste meines Vorgängers Bernhard Jungen mit Wirtinnen und Wirte, die sehr empfänglich für das Angebot waren. Das hilft.
Wie haben Sie sich im Amt verändert?
Ich bin entspannter geworden. Ich habe den Mehrwert meiner Arbeit erkannt und weiss nun, dass ich Ruhe und Gelassenheit bringen kann, in einer Zeit, in der alles schnell gehen muss. Mein Wert besteht darin, dass ich kein Ziel erreichen muss.
Was wünschen Sie der Gastronomie für die kommende Winterzeit und den baldigen Festtagen?
Dass die Gäste zu den Wirtinnen und Wirten Sorge tragen und gerne auch einmal ein anständiges Trinkgeld geben. Schliesslich sind die Restaurants die Seele der Stadt, und ich freue mich darüber, wenn ich letztendlich mit meiner Arbeit für diese sorgen und etwas beitragen kann.
«Schliesslich sind die Restaurants die Seele der Stadt.»
Roland Staub (36) wuchs im Zürcher Oberland auf und absolvierte eine Lehre zum Elektroplaner, bevor er später in Basel Theologie studierte. Mit der Kirche kam er durch seinen Vater in Kontakt, der ebenfalls Pfarrer war.
Text: Fabia Bernet
Foto: Tjefa Wegener