Montag, 26.08.2024

Sauwohl auf der Alp

Auf der Alp Tamons im Sarganserland wird seit uralter Zeit gekäst. Dabei fällt Molke an. Darüber freuen sich die Alpschweine, aber auch die Prodega-Kundinnen und -Kunden. Denn Fleisch von Alpschweinen ist eine Spezialität, die nur kurze Zeit erhältlich ist.

Sie heisst Lola, liegt bauchtief im Schlamm, grunzt halb im Schlaf und hebt nur kurz die Augenlider um zu sehen, woher die unbekannten Stimmen kommen, um dann gleich weiter zu dösen. Vielleicht denkt sie jetzt, dass sich mal wieder ein paar Wanderer auf die Sarganser Alp Tamons verabenteuert haben. Auf jeden Fall nichts, für das sich eine Unterbrechung der vormittäglichen Siesta lohnen würde. Bevor sie und ihre 50 Artgenossinnen wieder ganz wegdösen, hören die Tiere möglicherweise noch, wie einer der Zweibeiner sagt: «Denen ist wirklich sauwohl.» Bei den Zweibeinern handelt es um Adrian Schärz (56), Category Manager Fleisch bei Transgourmet/Prodega und Astrid Oetiker (39), die bei der Firma Silvestri zuständig ist für das Transgourmet/Prodega-Alpschweinprogramm. «Ich wollte einfach wieder einmal persönlich sehen, hören und spüren, wie es den Schweinen geht, die für uns respektive unsere Kundinnen und Kunden während eines ganzen Sommers gehegt und gepflegt werden», sagt Schärz. Und wie sie gehegt werden! Die Tiere kommen im Alter von etwa vier Monaten auf die Alp. Die Berge und Weiden im St.Galler Oberland sind für sie das Paradies. Ausgang? Tag und Nacht und zu jeder Zeit. Schlafen? Immer auf einem Lager im tiefen Stroh. Spielen? Mit Ästen und Tännchen. Baden? In einer Art Swimmingpool. Suhlen? Im Schlamm und im Holzhäcksel-Bad. Zuständig für das Wohlergehen der Borstenviecher sind auf der Alp Tamons auf 2000 m ü. M. Laura Wyss (29) und ihr Kollege Thomas Feurstein (29).

 

Wie Wildschweine
«Unsere Tiere benehmen sich wie Wildschweine. Und das dürfen sie hier auch», sagt die junge Frau. Was das heisst, zeigt sich im Lauf des Tages. Einmal aus der Siesta erwacht, pflügen die Tiere grunzend mit Lust und Kraft ihre Weide um und kehren das Unterste nach oben. Immer auf der Suche nach Wurzeln, Würmern oder anderen Leckerbissen. Es ist erstaunlich, welche Kraft sie in ihren Rüsseln haben: Kommt ihnen ein Gesteinsbrocken in die Quere, fliegt dieser im hohen Bogen durch die Luft. Manchmal spielen die Tiere auch eine Art Fangis miteinander, dann geht es im Schweinsgalopp kreuz und quer über die holprige Weide. Aber zurück zu den Leckerbissen und zur Ernährung: «Wir haben hier rund 90 Kühe, deren Milch wir zu Alpkäse verarbeiten. Was dabei übrig bleibt, ist Molke», sagt Wyss. Diese Molke oder Schotte war einmal der Grund, dass man Schweine mit auf die Alp nahm. Denn die Tiere haben fast nichts so gerne wie eben diese Molke, die reich an Vitaminen, Mineralstoffen und Eiweiss ist. Einst war Molke übrigens auch bei der Oberschicht begehrt: Um 1890 gab es in der Schweiz gegen 30 Molkenkurorte. Das Käserei-Nebenprodukt, so hiess es damals, heile Zivilisationskrankheiten und verleihe der holden Weiblichkeit einen reinen Teint.

 

Den Braten gerochen
Aber es gibt noch einen weiteren, ganz anderen Grund, Schweine auf der Alp zu halten: «Ihr Fleisch ist sensationell. Das Futter, das freie Leben, die intensive Bewegung, die frische Luft und die Betreuung schlagen sich in der Fleischqualität nieder. Es ist fest, mager und sehr aromatisch», sagt Schärz. Das haben die Bauern und Älpler wohl schon immer gewusst. Und wohlweislich für sich behalten. Doch sowohl Astrid Oetiker als auch Adrian Schärz sind gelernte Metzger. So haben sie wortwörtlich den Braten gerochen und seit ein paar Jahren finden die Schweine ab Ende August ihren Weg in die Prodega-Märkte, wo sie etwa vier Wochen lang angeboten werden (siehe Box). «Es het, so langs het», meint Schärz dazu. Aber noch ist Sommer, noch pflügen sich die Schweine durch die Hänge und freuen sich tierisch ihres Lebens. Was aber, wenn sie abgholt werden? «Das ist kein schönes Gefühl», sagt Astrid Oetiker, die früher selber z’Alp ging. «Aber du weisst auch, dass die Tiere ein wirklich gutes Leben hatten.»

 

Regionale Spezialität
Auf 17 Alpen in der Schweiz werden für Transgourmet/Prodega Alpschweine gehalten. Sie kommen im Herbst als Filet, Nierstück, Hals, Huft, Braten oder in Form von feinen Fleischerzeugnissen wie Bratwurst, Fleischkäse zum selber Backen oder Rohschinken in den Verkauf. Weil Regionalität in der Gastronomie ein gutes Verkaufsargument ist, kann auf Vorbestellung Fleisch von bestimmten Alpen geliefert werden. Etwas Spezielles ist der luftgetrocknete Schinken, der zwölf Monate lang gereift wird und erst dann in den Verkauf kommt.

 

Text: Franz Bamert Foto: Swinde Wiederhold