Montag, 13.01.2025

Neue Chance in der Gastro

Der Verein lebensträume@work in Riehen BS bietet Jugendlichen mit ganz unterschiedlichen Schwierigkeiten Praktika an, zum Beispiel im örtlichen Restaurant schlipf@work. Wie das genau funktioniert, erklären Lebensträume-Präsidentin Giovanna Conti (62) und schlipf@work-Geschäftsleiter Hannes Fringeli (57).

Welche Idee steckt hinter dem Verein lebensträume@work?
Giovanna Conti:
Er ist Trägerverein einer Sozialunternehmung und das Ziel ist, Jugendliche, die keine Anschlusslösung nach der Schule haben, in ein einjähriges Praktikum zu holen, um dann gemeinsam mit ihnen eine Lehrstelle zu finden. Diese jungen Leute haben zum Teil Soziostrukturelle oder sprachliche Probleme, teilweise ein wenig den Weg verloren und wir möchten sie wieder zurückbringen.

Wer bekommt diese Chance?
G. C.: Wir arbeiten mit dem Zentrum für Brückenangebote, dem ZBA, in Basel zusammen. Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren, die dort in einem Ausbildungslehrgang sind, werden uns zugewiesen. Eine zweite Zusammenarbeit besteht mit der Gemeinde Riehen. Jüngere Langzeitarbeitslose bleiben dank eines Arbeitsintegrationsprogramms bis zu eineinhalb Jahre bei uns und wir unterstützen sie, sich aus Abhängigkeiten wie der Sozialhilfe zu befreien. Hannes Fringeli: Wir haben zusätzlich noch zwei durch private Stiftungen finanzierte Plätze für Jugendliche, die keine Anschlusslösung haben und sich darauf frei bewerben können.

Was lernen Ihre Schützlinge?
H. F: Zunächst einmal Soft Skills wie Pünktlichkeit, Höflichkeit und Umgangsformen. Nicht alle gehen danach in die Gastronomie, einer wurde Schreiner, ein anderer Autolackierer. Aber sie alle haben Struktur gelernt. Jene, die in der Gastronomie bleiben wollten, haben wir alle untergebracht. G. C.: Wir bieten sechs Trainingsplätze an, die wir Praktikum nennen, weil wir kein Lehrbetrieb sind. Wir probieren aus, wofür sich jede und jeder Einzelne am besten eignet: Küche, Service, Mittagstisch- Angebot oder Catering. Unsere Praktikantinnen und Praktikanten übernehmen dabei Schritt für Schritt mehr Verantwortung. Das gibt ihnen viel Selbstbewusstsein. Der letzte Schritt ist dann, nach aussen in eine Bewerbungssituation zu gehen.

Wie läuft das im Gasthaus schlipf@work ab?
H. F.: Wir setzen die Praktikantinnen und Praktikanten möglichst überall ein. Das Gasthaus ist von 9 bis 23 Uhr geöffnet und sie arbeiten im Schichtdienst – natürlich so, wie es das Alter der Jugendlichen zulässt. Wir überfordern sie nicht, wir lassen sie zuschauen, mitmachen, bauen sie langsam auf und loben sie. Es ist wichtig, ihnen ein Erfolgserlebnis zu vermitteln, denn das motiviert sie. Manche haben in ihrem Leben noch nie ein Lob bekommen. G. C.: Unser Team besteht aus 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Profis sind, eine hohe Sozialkompetenz haben und sich nicht schnell stressen lassen. Das braucht es, wenn einmal etwas schief geht. Die Jugendlichen lernen mit den Gästen zu kommunizieren und bekommen Feedback. Das Essen muss stimmen, aber im Service verzeiht man auch mal ein Missgeschick.

Arbeiten die jungen Leute auch in den anderen Bereichen?
H. F.: Bei der Produktion sind alle dabei. Einen Teil machen wir im Gasthaus, hinzu kommt eine Produktionsküche nicht weit von hier. Dort wird gekocht und kommissioniert. Beim Mittagstisch helfen die Jugendlichen dagegen nur beim Ausliefern. Beim Catering bitten manche Kundinnen und Kunden explizit darum, dass wir Praktikantinnen oder Praktikanten mitschicken.

«Wir legen sehr viel Wert auf Familiarität »

Wer sind Ihre Kundinnen und Kunden?
G. C.:
Das geht querbeet: Stammgäste aus Riehen und Basel, die 3 E aus dem Kleinbasel, Bankdirektoren mit ihren Teams, Grossrätinnen und Grossräte, die Gemeinde und viele Menschen, die wissen, dass wir ein spezieller Betrieb sind und das sehr sympathisch finden. Es läuft viel über den erweiterten Bekannten- und Freundeskreis, denn wir dürfen keine Werbung machen. Dieses Jahr mussten wir erstmals Aufträge absagen. H. F.: Das Feedback ist grossteils positiv. Wir haben viele Stammgäste, die sich freuen, die Entwicklung der Jugendlichen mitzuerleben. Sie unterstützen mit Gesprächen und geben Tipps.

Wie erfolgreich sind Sie mit Ihrem Konzept?
H. F.:
Unsere Erfolgsquote, dass unsere Praktikantinnen und Praktikanten eine weiterführende Ausbildung machen, variiert zwischen 50 und 80 Prozent. Das hängt vor allem von den Sprachkenntnissen ab. G. C.: Wir haben auch Misserfolge und mussten Einzelnen sagen, dass es nicht geht. Unsere Plätze sind zu wertvoll, als dass wir sie mit Jugendlichen besetzen, die kein Interesse haben.

Was ist der grösste Gewinn bei lebensträume@ work und schlipf@work?
G. C.:
Die Befreiung von drohenden Abhängigkeiten. Und dass die jungen Leute merken: Ich kann mein Leben in die Hand nehmen, bin nicht abhängig von Ämtern oder Personen, die mir Geld geben, ich kann selbst für mich sorgen.

Gibt es andere, ähnliche Einrichtungen?
G. C.:
In Basel gibt es die Jobfactory oder Parterre, doch die sind deutlich grösser. Wir wollen klein bleiben, denn wir legen viel Wert auf Familiarität – etwas, was unsere Jugendlichen oft nicht haben. Wir leben das, gehen in die Küche und reden mit ihnen, auch der Vorstand macht mit. Das grenzt uns von den anderen Betrieben ab und wird von allen sehr geschätzt.

lebensträume@work
Der Trägerverein existiert seit 2006 und in der heutigen Form seit zwölf Jahren. Als Non-Profit-Organisation betreibt er in Riehen BS das Gasthaus schlipf@work. Der Mittagstisch bedient mit 4500 Essen wöchentlich die Schulen von Riehen und Bettingen. Auch ein Catering- Service wird angeboten. Pro Schuljahr können sechs Jugendliche dank eines Praktikums ein Arbeitszeugnis erhalten, das ihnen den Einstieg in eine anschliessende Lehre ermöglicht. Mit Kanton und Gemeinde besteht darüber hinaus eine Zusammenarbeit auf der Basis von Leistungsvereinbarungen, für zusätzliche grössere Anschaffungen unterstützen Stiftungen und Gönnerinnen und Gönner.

Text: Petra Mürschel-Evans
Foto: Christoph Kaminski