Montag, 17.02.2025

Die Reis-Expertinnen

Reis steht in vielen Ländern Asiens täglich auf dem Speiseplan. Die thailändischen Köchinnen Virat und Vilai Kanjan zeigen exemplarisch, welch aussergewöhnliche Bedeutung das weisse Korn in dieser Weltregion hat.

Stärker könnte der Kontrast kaum sein. Aufgewachsen in einer einfachen Hütte inmitten von Reisfeldern in der thailändischen Provinz Sumat Prakan, nahe Bangkok, stehen die Zwillingsschwestern Virat und Vilai Kanjan (58) heute im Restaurant Spices Kitchen & Terrace im Bürgenstock Resort Lake Lucerne in Obbürgen NW am Herd. Es gibt allerdings ein verbindendes Element zwischen Vergangenheit und Gegenwart der Köchinnen: Reis. «Es vergeht kein Tag, an dem meine Schwester und ich keinen Reis essen. Er hat für uns eine spezielle Bedeutung», sagt Virat Kanjan. Das war damals so, als ihre Eltern noch für sie kochten, und das ist heute noch so, wenn sie für den privaten Gebrauch oder im Restaurant Reis zubereiten. Virat erinnert sich: «Meine Eltern haben den Reis über dem Feuer gekocht. In einem Lehmtopf. Das ist eine sehr schonende Art der Zubereitung, so ist der Reis voller Geschmack.» Heute brauche man überall einen Reiskocher. «Auch ich koche den Reis damit», sagt sie und lacht. Aber der Geschmack sei anders als das, was sie von früher gewohnt sei. Verloren gegangen in der Moderne, könnte man sagen. Genauso wie die Reisfelder, die die Familie einst bewirtschaftete. Heute starten und landen dort im Minutentakt Flugzeuge auf dem internationalen Flughafen Bangkoks. «Die Regierung hat das Land aufgekauft, um den Flughafen zu bauen», sagt Virat Kanjan. Alles, was die Familie brauchte, gab es damals hinter dem Haus. «Galgant, Chili, Gemüse, Zitronengras, alles wuchs rund um unsere Hütte», sagt die Köchin. Für die Eier hielt sich die Familie Hühner, zudem assen sie oft Fisch. «Die Fische lebten in unseren Reisfeldern», so Virat Kanjan.

DIE HALBE WELT ISST REIS
Der Speiseplan der Familie Kanjan steht dabei stellvertretend für unzählige andere Menschen in der Region und weit darüber hinaus. Denn Reis ist als Kohlehydrat- Lieferant das Grundnahrungsmittel für mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. Ursprünglich zur Familie der Gräser gehörend, hat die anpassungsfähige Reispflanze einen beispiellosen weltweiten Siegeszug angetreten. In über 100 Ländern und auf allen Kontinenten ausser der Antarktis wird Reis angebaut, man findet ihn in vielerlei Variationen im Detail- und Grosshandel. Archäologinnen und Archäologen haben Hinweise dafür gefunden, dass im mittleren Jangtse- Tal im heutigen China bereits vor 10 000 Jahren Reis angebaut wurde. Heute ist China neben Indien der grösste Reisproduzent der Welt. Besonders in Asien ist die Bedeutung des kleinen Korns aussergewöhnlich, in Kultur, Kulinarik und Religion. In vielen asiatischen Sprachen sind die Wörter für «Reis» und «essen» identisch.

ALS SUPPE, BEILAGE ODER HAUPTGERICHT
Auf dem Bürgenstock stehen Virat und Vilai Kanjan mittlerweile in der Küche. Und zeigen dem Gast, in welch vielfältiger Form sie Reis zubereiten. In einem Topf köchelt ein Reisbrei – in Thailand Jok genannt, in China als Congee bekannt – leise vor sich hin, gleich daneben steht eine Reissuppe mit kleinen Fischstücken. «Jok hat unsere Mutter zubereitet, als wir klein waren», sagt Vilai Kanjan. Der Reis köchelt so lange, bis seine Konsistenz ganz weich ist. So sei er leicht bekömmlich. Die Köchinnen servieren duftenden Jasminreis auch als Beilage zu einem Curry oder der pure Reis dient als Grundlage für ein Gericht, das in dieser oder ähnlicher Form im gesamten asiatischen Raum zu finden ist: gebratener Reis oder Khao Phad, wie er in Thailand heisst. Bei den Gästen des Restaurants ist er Besonders beliebt. Die Schwestern haben eine lange Karriere in den Küchen von Spitzenhotels unter anderem in Thailand, Singapur und Australien hinter sich. «Wir arbeiten schon so viele Jahre zusammen, wir verstehen uns ohne Worte», sagt Virat Kanjan. Auch Mitglieder der thailändischen Königsfamilie haben sie bereits bekocht. Ein Dessertklassiker, der dabei nicht fehlen darf: Sticky Rice mit Mango. Die süsslich-frische Nachspeise schmeckt vorzüglich und zeigt, wie unterschiedlich Reis in Thailands Küche zum Einsatz kommt.

Text: Rico Steinemann
Foto: Valentina Verdesca