Montag, 07.10.2024

Aussergewöhnliche Kombinationen

Wer sagt denn, dass Desserts immer fruchtig und klebrig sein müssen? Die Patissière Felicia Ludwig erklärt, warum auch Gemüse ein süsses Ende verdient hat.

Die gelernte Köchin und Patissière Felicia Ludwig (41) betreibt seit Anfang 2022 ihre eigene Dessertbar im Restaurant Razzia im Herzen Zürichs. Die klassischen Tartes au Citron, luftigen Meringue-Gebäcke und saftigen Schokokuchen im «Atelier für Confiserie» kann die Patissière aus dem Effeff. Doch sie hat auch eine Schwäche für einen ungewöhnlichen Trend: «Mich interessiert Gemüse als Dessertkomponente schon lange», erklärt sie. «Fenchelkraut zum Beispiel hat Anisnoten, die wunderbar in ein Dessert passen. Gurken verpassen jedem Sorbet einen Frischekick.» Auch Wurzelgemüse wie Randen, Rüebli und Kürbis eignen sich für eine Amour fou mit Zucker. «Sie sorgen im Winter für Farbe und Aroma, in Kombination mit Schokolade oder Tonkabohne sind sie eine Wucht», so Felicia Ludwig. Und sie verrät einen Profi-Trick für die Dessertzubereitung, egal ob mit Obst, Gemüse oder Schokolade: «Jedes Dessert braucht etwas Salz, das sorgt für Umami.»

SÜSSES HANDWERK, HARTE ARBEIT
Mindestens so ungewöhnlich wie diese Kreationen ist auch die Vita von Felicia Ludwig. «Ich wuchs in Rumänien auf», erzählt sie. «Mein Vater starb früh, meine Mutter hatte fünf Kinder zu versorgen.» Die Kindheit war nicht einfach, für das gewünschte Informatikstudium fehlten die Mittel. «Egal, wie sehr ich mich anstrengte – als das Geld fehlte, schlug die Türe zu», erinnert sie sich. Auf der Suche nach einer Anstellung liess sie sich in Deutschland nieder. In einem Familienhotel fand sie Arbeit, putzte Zimmer und half in der Küche aus. «Mein damaliger Chef erkannte bald, dass ich gerne kochte und noch lieber buk.» Im Hotelbetrieb ermutigte man sie, die Kochlehre zu machen. «Mit 27 war ich die Älteste in meiner Klasse und verstand die Sprache nicht. Das erste Jahr war die Hölle», so Ludwig. Bereits im zweiten Lehrjahr liess sie die Klassenkameradinnen und -kameraden hinter sich. «Kein Geld für meine Miete, sieben Tage in der Woche arbeiten und lernen, aber ich war Klassenbeste. Das hat mich angespornt.»

GAULT MILLAU WARTET IN DER SCHWEIZ
«Bei einem Arbeitsausflug verliebte ich mich in die Schweiz. Nach bestandener Ausbildung fand ich dank meines Chefs eine Stelle in St. Moritz», erzählt Ludwig. Es folgten verschiedene berufliche Stationen, oft arbeitete sie als Köchin, parallel dazu brachte sie sich im Selbststudium die Grundsätze der Patisserie bei. Schliesslich zog sie nach Zürich, wo sie im Fine-Dining-Bereich tätig war. Glamour herrschte in den Betrieben vor allem vor der Kulisse. Siebentagewochen und 18 Stunden Arbeit täglich waren für Felicia Ludwig keine Seltenheit. Zwar hörte sie vom Lob der Gäste für ihre Kreationen, aber Kontakt hatte sie wenig zu ihnen. Dass sich ihr Name zu einem Synonym für feinste Dessertkunst gemausert hatte, wurde ihr erst im Jahr 2022 schlagartig klar: «Nie hätte ich gedacht, dass Gault-Millau ausgerechnet mich als Patissière des Jahres auszeichnet. » Im selben Jahr kam unverhofft die Chance für ein eigenes Café. Ludwig griff zu. «Die Tage sind noch immer lang, Freizeit gibt es nicht, aber immerhin arbeite ich jetzt für mich selbst», sagt sie stolz.

DESSERTWELT IM UMBRUCH
Ihre Arbeit stösst weit herum auf Begeisterung. Luxusbrands wie Moët & Chandon oder Cartier wollen Patisserie von Felicia Ludwig. Bunte Macarons, Pralinen mit Logo oder essbare Legosteine – personalisierte Patisserie liegt im Trend. Aber auch die Dessertwelt rund um den Globus wird bunter, verspielter und vielseitiger. In Berlin und Tokio widmen sich Restaurants ausschliesslich den Desserts: Patisserie kommt in süssen und salzigen Mehrgängern auf den Tisch. Doch selbst in der Avantgarde der Dessertszene bleibt der letzte Gang oft ein traditionelles Dessert. Verscherzen will man es sich nämlich nicht mit den Gästen. «Es ist leider wahr», bilanziert Ludwig mit einem Lachen: «Egal, wie gelungen das Gemüsedessert sein mag – gegen ein Schoggimousse hat es bei den meisten wenig Chancen.»

Text: Simone Knittel
Foto: Jürg Waldmeier