Montag, 15.07.2024

100 Jahre Gastfreundschaft

Am 19. Juli wird Alice Rüttimann 100 Jahre alt und hat den grössten Teil ihres Lebens als Wirtin im Restaurant Bären in Baar ZG verbracht. Sie ist Prodega-Kundin der ersten Stunde und schaut auf ihr Leben zurück.

Eben noch der Verkehr, hetzende Menschen, hupende Autos. Dann drei Schritte und schon ist man in einer anderen Welt, in der Stube von Alice und Josef (75) Rüttimann. Also, um ganz präzise zu sein: in ihrer Gaststube des Restaurants Bären in Baar. Viel Holz, viel Gemütlichkeit und auch viele Jassrunden. «Willkommen», tönt es vom Buffet her. Alice Rüttimann ist gerade dabei, zwei Bier, einen Kaffee und ein Mineral zu richten. «Und Mami, noch einen Kräuter-Lutz dazu», ruft es von einem der Tische. Mami – so wird die Wirtin nicht etwa nur von ihrem Sohn Josef, dem jetzigen Bären-Wirt, sondern auch vom Personal genannt.

Alice – man ist schnell per Du in einem solchen Ambiente – geht voraus in die Nebenstube. Dort hängen Pokal- und Fahnenkästen von vielen Dorf-Vereinen und erinnern an vergangenen Ruhm und an Zeiten, in denen Vereine gesellschaftspolitisches Gewicht hatten.

 

Geboren wurde Alice 1924 als jüngstes von fünf Kindern in eine Bauernfamilie hinein. «Zuerst kam die Weltwirtschaftskrise und dann noch der Krieg. Als der ausbrach, war ich gerade mit der Schule fertig. Da musste der Vater ins Militär und ich daheim auf dem Hof mithelfen. Ans Arbeiten bin ich also von Kindsbeinen an gewöhnt.» Ihr ganzes, langes Leben lang hat sie mit dem Arbeiten nicht mehr aufgehört. «Darum bin ich vielleicht auch so alt geworden», sinniert sie.

 

Die Arbeit hört nie auf 

Arbeiten können und wollen war auch eine gute Voraussetzung, um Bären-Wirtin zu werden. «Ich habe in den Betrieb eingeheiratet und seit 1950 ist der Bären der Mittelpunkt meiner Welt. Hier habe ich mit meinem Mann Josef gelebt, gearbeitet und unsere fünf Kinder grossgezogen. Etwas anderes habe ich nie gewollt.» Was hat sich seit den Anfängen verändert? «Alles. Ein Möschtli kostete damals vielleicht 30 Rappen. Wir hatten ein einziges Menu: Suppe, Salat, ein Gemüse und Fleisch. Der Preis lag um zwei Franken.»

Verändert haben sich auch die Kundinnen und Kunden. «Früher hatten die Leute viel mehr Musse. Man konnte in Ruhe miteinander reden. Heute sind sogar die Rentner immer pressiert mit ihrem Sport und den Hobbys. Und wenn sie nichts zu tun haben, schauen alle in ihre Handys.» Natürlich hat auch Alice so ein Teil. «Aber ich brauche es nur ganz selten.» Wann sollte sie auch damit herumspielen? «Ich bin jeden Tag um acht, halb neun Uhr im Restaurant, decke die Tische und helfe, wo immer es nötig ist.» Im Normalfall gehört die Wirtin auch zu den letzten Gästen, die in der Nacht die Stube verlassen. «Das ist ja nicht mehr so spät wie früher, als es noch die Polizeistunde und Bussen für die Überhöckler gab. Die Gäste gehen heute viel früher heim.» Warum? «Ganz einfach», sagt sie und lächelt verschmitzt. «Zusammen mit der Polizeistunde verschwand auch der Reiz, erwischt zu werden.»

Eine grosse Veränderung im Leben der Bären-Wirtin brachte vor Jahrzehnten die Prodega. «Anfänglich mussten wir Waren von allen möglichen Lieferanten beziehen. Mit der Prodega ist das anders geworden, sehr viel einfacher.» Und bevor die Frage überhaupt gestellt ist, sagt sie: «Ja, wir sind sehr zufrieden mit der Firma. Sonst wären wir nicht bis heute Kunde.»

Seit 74 Jahren also ist Alice Rüttimann die Seele des Gasthofs Bären. Fünf Kinder hat sie grossgezogen, den Tod ihres Mannes im Jahr 1998 verkraftet und unzählige Gastro-Trends kommen und gehen gesehen. Von den gegen 40 Restaurants, die es vor 50 Jahren noch in Baar gab, haben die meisten die Wirtshaustüre für immer geschlossen. Doch den Bären als Stube für die Gäste und die Bären-Wirtin gibt es immer noch.

Am 19. Juli feiert sie ihren 100. Geburtstag. Ist ein grosses Fest vorgesehen? Alice Rüttimann wiegt den Kopf und meint: «Mal sehen. Man weiss nie, was bis dann noch alles passiert.»

 

Alice Rüttimann

Lieblingsessen: Alles, was es im Bären gibt
Hobby: Jassen
Verein: Trachtenverein
Musik: Jodeln
Lesen: Die Augen wollen nicht mehr richtig
Lieblingsort: Am Tisch mit Gästen

 

Text: Franz Bamert
Titelbild: Christoph Kaminski